Sonntag, 29. Juli 2012

Der Zins - Mythos und Wahrheit


"Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits."

Otto Valentin ("Warum alle bisherige Politik versagen musste", 1949)

Heute muss die Politik noch immer versagen, weil kaum jemand den Zins versteht. Dass Politiker den Zins am allerwenigsten verstehen, ergibt sich aus dem Umkehrschluss: Sobald der Zins allgemein verstanden ist, wird die Politik überflüssig! Das heißt nicht, dass die Menschen überflüssig werden, sondern nur jene tatsächlich sinnfreien Tätigkeiten, die etwas "regeln" sollen, was nicht geregelt werden kann, solange es sich durch das vom Kapitalismus befreite Spiel der Marktkräfte nicht selbst regelt. Doch so weit zu denken, fällt den Politikern noch schwer, also erklären wir erst einmal den Zins.

Der Kreditzins, den Unternehmer für Investitionskredite an die Geschäftsbanken zahlen, besteht aus der Bankmarge und dem Guthabenzins, den die Geschäftsbanken an die Sparer zahlen. Die Bankmarge minus Risikoprämie (Kreditausfall-Versicherung) minus Personal- und Sachkosten ist der Gewinn der Geschäftsbanken vor Steuern, und der Guthabenzins der Sparer ist die Liquiditätsverzichtsprämie (Urzins) plus Knappheitsaufschlag plus Inflationsaufschlag. Der Realzins (Sparer-Gewinn) ist der Guthabenzins minus Inflation.

Die Liquiditätsverzichtsprämie ist zeitabhängig und erreicht bei langfristigen, ca. 10-jährigen Geldanlagen den vollen Urzins von etwa 4,5%, während der Knappheitsaufschlag durch das Verhältnis von Kreditangebot und Kreditnachfrage in der Volkswirtschaft bestimmt wird. Ist nach einem Krieg (umfassende Sachkapitalzerstörung) die Kreditnachfrage zur Finanzierung neuer Sachkapitalien (Häuser, Fabriken, Schiffe, etc.) deutlich größer als das Kreditangebot, steigt der Realzins für die Sparer um eine "Belohnung für Konsumverzicht", weil in dieser Situation die Schaffung neuen Sachkapitals für die Volkswirtschaft wichtiger ist als der vorgezogene Konsum; und wenn kurz vor dem nächsten Krieg die Geldvermögen - und damit auch die (fast) spiegelbildliche Gesamtverschuldung - durch die fortlaufende Verzinsung soweit gewachsen sind, dass das Kreditangebot die Kreditnachfrage übersteigt, weil die Rentabilitätshürde des Urzinses der weiteren Vermehrung rentabler Sachkapitalien eine Grenze zieht, wird der Knappheitsaufschlag negativ und der Realzins für die Sparer vermindert sich um eine "Bestrafung für Investitionsverzicht". Dies führt zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Anlagedauer, weil der Realzins nun unter den vollen Urzins fällt, den die Sparer mindestens fordern, um ihre Ersparnisse langfristig zu verleihen. Aus mittel- bis kurzfristig den Geschäftsbanken überlassenen Ersparnissen können diese aber umso weniger Investitionskredite vergeben, für deren verzinste Zurückzahlung die Unternehmer etwa zehn Jahre benötigen. Die Geschäftsbanken haben mit immer größer werdenden Kreditausfall- sowie Fristentransformationsrisiken zu kämpfen und verlagern ihre Geschäftstätigkeit von der Investition auf die Spekulation (ironischerweise als "investment banking" bezeichnet), um an Preisschwankungen zu profitieren, die wiederum umso größer und hektischer werden, je mehr die "Bestrafung für Investitionsverzicht" den Geldkreislauf ins Stocken bringt. Am Ende gerät die Volkswirtschaft in eine Liquiditätsfalle, d. h. der Geldkreislauf – und damit die Arbeitsteilung – bricht soweit zusammen, dass die nächste umfassende Sachkapitalzerstörung unvermeidlich wird, damit es nach dem Krieg wieder eine "Belohnung für Konsumverzicht" geben kann (wobei die Frage "Wer gegen wen?" für Kriegsberichterstatter von Bedeutung sein mag, aber nicht für die kapitalistische Ökonomie):


Um die als "Frieden" bezeichnete Zeitspanne zwischen den Kriegen zu verlängern, haben "Wirtschaftsexperten" die schleichende Inflation erfunden und "Spitzenpolitiker" bemühen sich um ein ständiges Wirtschaftswachstum. Denn solange alle Preise ständig steigen (um etwa 2% pro Jahr), gerät der Konsum noch nicht ins Stocken, und solange die quantitative Wachstumsrate nicht unter den vollen Urzins fällt (4,5% pro Jahr), gibt es noch keine Massenarbeitslosigkeit. Für "Wirtschaftsexperten" und "Spitzenpolitiker" gibt es also viel zu tun: Die "Experten" der Zentralbank müssen der arbeitenden Bevölkerung, deren Löhne der allgemeinen Preiserhöhung ständig nachlaufen (was "Gewerkschaftsexperten" beschäftigt), eine schleichende Inflation von 2% pro Jahr als "Preisstabilität" verkaufen, und die "hohe Politik" kümmert sich um den "sozialen Ausgleich", hypothetische "Klimaziele", eine versprochene "Energiewende" und eine "Bekämpfung des internationalen Terrorismus", um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass man allgemeinem Wohlstand, einer sauberen Umwelt und dem Weltfrieden mit jedem vergangenen "Alltag" ein Stückchen näher kommt.

Um den hier nur sehr vereinfacht dargestellten Irrsinn in seiner ganzen Bandbreite zu rechtfertigen und sich selbst zu beschäftigen, haben "Wirtschaftsexperten" unterschiedliche Zinstheorien entwickelt: die Fruktifikationstheorie (A. R. J. Turgot), die Abstinenztheorie (N. W. Senior), die Agiotheorie (E. v. Böhm-Bawerk), die Ausbeutungstheorie (K. Marx), die Liquiditätstheorie (J. M. Keynes), die dynamische Zinstheorie (J. A. Schumpeter), die Grenzproduktivitätstheorie (J. B. Clark), die Loanable-Fund-Theorie (B. G. Ohlin), die Eigentumstheorie (G. Heinsohn / O. Steiger)…

Die korrekte Urzinstheorie von Silvio Gesell wird in der einschlägigen "Fachliteratur" gar nicht erst genannt, und bis auf die Liquiditätstheorie von John Maynard Keynes sind alle diese Zinstheorien, die eigentlich "Zinsentschuldigungstheorien" heißen müssten, grundlegend falsch (auf alle daraus resultierenden, sehr umfangreichen Denkfehler kann ich hier im Einzelnen nicht eingehen). Denn sie erkennen den Urzins nicht als Störfaktor, der die marktwirtschaftlichen Regelmechanismen außer Kraft setzt, sondern verwechseln und vermischen diesen heute noch volkswirtschaftlichen Hauptzinsanteil mit dem Knappheitsaufschlag, der – würde er nicht durch den "Offset" des Urzinses gestört – allein für die richtige Allokation zwischen Kreditangebot und Kreditnachfrage in der Marktwirtschaft sorgt! Beispielsweise bezeichnet die so genannte Abstinenztheorie (in echten Fachkreisen "Spießbürgertheorie") nicht den Knappheitsaufschlag, sondern die Summe aus Urzins und Knappheitsaufschlag als "Belohnung für Konsumverzicht", was dann zu der irrsinnigen Schlussfolgerung führt, dass ein Großsparer, der eine Milliarde Euro "auf der hohen Kante" hat, seinen Zinsgewinn wohl nicht auf Kosten der Mehrarbeit anderer erpresst, sondern offenbar 45 Millionen Euro pro Jahr dadurch "verdient", dass er sich seine Milliarde "vom Munde abgespart" hat. Und wenn es unserem Milliardär mit eiserner Disziplin gelingt, sich wiederum 90% seines jährlichen Zinsgewinns "vom Munde abzusparen", hat er die Verfünffachung seines Vermögens in 40 Jahren nach dieser Theorie auch noch "verdient".

Der Urzins, der allein aus der Wertaufbewahrungs(un)funktion des herkömmlichen Geldes (Zinsgeld) resultiert, macht aus der Marktwirtschaft – von einem Krieg bis zum nächsten und dazwischen mit exponentiell steigender Tendenz – eine kapitalistische Marktwirtschaft. Und weil die halbwegs zivilisierte Menschheit seit jeher ein fehlerhaftes Geld mit parasitärer – der wesentlichen Tauschfunktion widersprechenden – Wertaufbewahrungsfunktion verwendet (das heutige Papiergeld wurde gänzlich unreflektiert dem Edelmetallgeld der Antike nachgeäfft), liegt bis heute die freie Marktwirtschaft ohne Kapitalismus (Natürliche Wirtschaftsordnung = echte Soziale Marktwirtschaft) für die Allermeisten und insbesondere für studierte "Wirtschaftsexperten" sowie von der Masse gewählten "Spitzenpolitikern" weit außerhalb ihres Vorstellungsvermögens. Es werden die verrücktesten Ausreden erfunden, die letztlich alle auf der Verwechslung und Vermischung des Urzinses mit dem Knappheitsaufschlag beruhen, warum eine "zinsfreie Wirtschaft" angeblich "vollkommen unmöglich" wäre.

Unter den "etablierten" Ökonomen war allein John Maynard Keynes wenigstens so ehrlich zuzugeben, dass eine staatliche Liquiditätsgebühr auf alles Zentralbankgeld ("carrying costs") "der vernünftigste Weg sein (würde), um allmählich die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus loszuwerden. Denn ein wenig Überlegung wird zeigen, was für gewaltige gesellschaftliche Veränderungen sich aus einem allmählichen Verschwinden eines Verdienstsatzes auf angehäuftem Reichtum ergeben. Es würde einem Menschen immer noch freistehen, sein verdientes Einkommen anzuhäufen, mit der Absicht es zu einem späteren Zeitpunkt auszugeben. Aber seine Anhäufung würde nicht mehr wachsen."

Doch ohne diesen "vernünftigsten Weg" zu beschreiten, was Silvio Gesell bereits 45 Jahre vorher getan hatte, lässt sich Keynes in seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" (1936) nur über alle denkbaren und undenkbaren Möglichkeiten aus, wie es der politischen Seifenoper gelingen könnte, den Privatkapitalismus (Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz) durch eine "antizyklische staatliche Investitionspolitik" bis zum Staatsbankrott durch Überschuldung hinauszuzögern, anstatt das Elend einfach abzustellen. So können wir heute sagen: "Keynes sei Dank" gibt es uns noch, aber dafür wird der bevorstehende, endgültige Zusammenbruch der Weltwirtschaft (globale Liquiditätsfalle) umso katastrophaler werden, sollte es nicht gelingen, noch während der einsetzenden Deflationsphase die Natürliche Wirtschaftsordnung zu verwirklichen. Der folgende Text von Dr. Ernst Winkler aus dem Jahr 1952 erklärt zusammenfassend die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des "vollkommen Unmöglichen" und beseitigt die gröbsten Vorurteile:


Warum ist die Ausbeutungstheorie von Karl Marx ebenfalls als "Zinsentschuldigungstheorie" zu bezeichnen? Weil Marx den Zins gar nicht verantwortlich macht, sondern mit einem gigantischen Wortschwall, der an Unwissenschaftlichkeit und inneren Widersprüchen kaum zu überbieten ist, versucht, eine Ausbeutung der Arbeiter durch die Unternehmer aus deren Besitz an den Produktionsmitteln (Sachkapitalien) abzuleiten. Damit stellte Marx für alle, die bereit waren, an diesen Unsinn zu glauben, die Realität auf den Kopf. Die aus seinem grundlegenden Denkfehler abgeleitete Konsequenz, dass die Ausbeutung nur durch Verstaatlichung der Produktionsmittel und Planwirtschaft zu überwinden wäre, hat bis heute mehr Schaden angerichtet, als die Verwüstungen des Nationalsozialismus! Dabei ist letzterer ganz offensichtlich menschenverachtend, während viele Naive noch heute glauben, der marxistische Sozialismus sei eine "Alternative zum Kapitalismus", wobei sie Marktwirtschaft und Privatkapitalismus verwechseln und nicht wissen, warum der "real existierende Sozialismus" niemals etwas anderes sein kann als Staatskapitalismus, die schlimmste Form der Ausbeutung und das Ende jeder persönlichen Freiheit. Das folgende, etwas längere Zitat erklärt alle wesentlichen Zusammenhänge, die auch heute mit weniger Worten nicht treffender formuliert werden können:

"Aus dem offenkundigen Versagen des historischen Liberalismus erwuchs die sozialistische Bewegung mit dem Ziel, die missbrauchten Freiheitsrechte einzuschränken zugunsten der Gesamtheit und besonders zugunsten der wirtschaftlich Schwachen. Diese Zielsetzung beruht jedoch auf einem Denkfehler; denn der historische Liberalismus versagte nicht, weil er zuviel, sondern weil er zuwenig Freiheit verwirklichte. Eine "freie Wirtschaft" hat es im Liberalkapitalismus in Wahrheit nie gegeben, sondern nur eine vermachtete Wirtschaft: vermachtet durch Privatmonopole, durch den privaten Monopolbesitz von Grund und Boden und den Rohstoffen, durch das Geld- und Bodenmonopol, durch die Bildung von Syndikaten, Kartellen und Trusts. An die Stelle einer freien Konkurrenzwirtschaft trat die Herrschaft privater Wirtschaftsmächte, die durch ihre Maßnahmen weitgehend auch die Höhe von Preisen, Löhnen und Zinsen und damit das Wirtschaftsgeschehen insgesamt nach ihren Interessen bestimmen konnten.
    Die sozialistischen Bestrebungen laufen darauf hinaus, die liberalkapitalistische durch eine zentralgeleitete Wirtschaft, also die private durch eine staatliche Vermachtung und die Privatmonopole durch Staatsmonopole zu ersetzen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die vielen erbarmungslosen Wirtschaftsdiktatoren, die sich immerhin noch durch einen letzten Rest von Konkurrenz gegenseitig in ihrer Macht beschränken, durch einen einzigen, ebenso erbarmungslosen, aber völlig unbeschränkten Wirtschaftsdiktator in Gestalt des Staates abgelöst werden. Dadurch kann sich die Lage der arbeitenden Menschen nur noch hoffnungslos verschlimmern, wie mannigfache geschichtliche Erfahrungen hinlänglich bestätigen.
    Weder der Liberalismus noch der Sozialismus vermag in seiner historischen Form (Anmerkung: darüber sind wir bis heute nicht hinaus!) die soziale Frage zu lösen. Die echte Lösung in Form der Natürlichen Wirtschaftsordnung vereinigt die berechtigten Anliegen dieser beiden Bestrebungen, nämlich die soziale Gerechtigkeit mit einem Höchstmaß an persönlicher Freiheit, schließt aber ebenso den kapitalistischen Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit endgültig aus wie ihre Einengung durch staatlich-bürokratische Planwirtschaft. Erst sie begründet eine wahrhaft freie Wirtschaft ohne private Vorrechte und staatliche Bevormundung, eine monopolfreie und darum auch ausbeutungsfreie Vollbetriebswirtschaft, die jedem die gleiche Freiheit und die gleichen Vorbedingungen zur Entfaltung seiner Kräfte gewährleistet. Daher verträgt sich diese Freiheit nicht mit der künstlichen Ungleichheit wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Vorrechte, aber ebenso wenig mit der künstlichen Gleichheit eines erzwungenen nivellierten Lebensstandards, sondern nur mit der natürlichen Ungleichheit, wie sie sich bei gleichem Start für alle aus der natürlichen Verschiedenheit der Neigungen, Fähigkeiten und Leistungen ergibt.
    Die Natürliche Wirtschaftsordnung fördert das Wohl der Gesamtheit, indem sie dem Wohl aller einzelnen dient. Daher nimmt sie dem Gegensatz zwischen Gemeinnutz und Eigennutz jenen zuspitzenden und unversöhnlichen Charakter, der nur durch die kapitalistische Entartung der liberalistischen Wirtschaft entstand. Sie beseitigt alle Monopole, ohne an ihre Stelle staatliche zu setzen, indem sie lediglich die beiden entscheidenden Monopole, nämlich das Geld- und Bodenmonopol der Kontrolle der Allgemeinheit unterstellt. Der Arbeiter braucht in dieser Wirtschaftsordnung zur Wahrung seiner Rechte weder die Hilfe des Staates noch den Schutz gewerkschaftlicher Organisationen, weil er als gleichberechtigter Vertragspartner ebenso wie der Arbeitgeber seine Bedingungen und Forderungen stellen kann. Denn die von Rodberus und Marx geschilderte Situation, die im Kapitalismus zu einem erpressten Vertragsabschluss mit Ausbeutung des Arbeiters nach dem "ehernen Lohngesetz" führt, erfährt einen grundsätzlichen Wandel, weil die Arbeit – wenn sie schon nach Marx als "Ware" aufgefasst wird – in einer monopolfreien Vollbetriebswirtschaft zur gesuchtesten und daher umworbensten Mangelware wird. Daher steigt ihr Preis bis zum überhaupt möglichen Höchstwert, nämlich bis zur Höhe des vollen Arbeitsertrages auf Kosten der Kapitalrente in allen ihren Formen wie Zins, Dividende und Spekulationsgewinn."

Dr. Ernst Winkler (Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung, 1952)

Solche erfrischenden Worte eines klar denkenden, aufgeklärten Menschen sind äußerst selten, weil sich mit wissenschaftlicher Aufklärung keine Bauernfängerei betreiben lässt. Wie nicht anders zu erwarten, ist das ausgezeichnete Werk von Ernst Winkler im einstigen Land der Dichter und Denker nur noch antiquarisch erhältlich, während mit dem gänzlich unwissenschaftlichen Geschwätz von Karl Marx der Buchhandel noch immer Umsatz macht.

Kommen wir nun zur wirklichen Ursache der Ausbeutung, dem Urzins, und warum er bis heute nicht beseitigt werden konnte, obwohl das dafür erforderliche Wissen schon seit der Erstveröffentlichung von "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (Silvio Gesell, 1916) zur Verfügung steht. Man bedenke, dass für die Menschheit insgesamt die eingebildete Angst vor der Natürlichen Wirtschaftsordnung offensichtlich größer war (und noch ist), als die reale Angst vor allen Kriegen, die nach 1916 noch stattfinden mussten!

Mit einem hatte Karl Marx recht: Die Religion ist das "Opium des Volkes". Wer nicht weiß, was Gerechtigkeit ist, darf auch nicht wissen, was Ungerechtigkeit ist, um eine Existenz in "dieser Welt" (zivilisatorisches Mittelalter) ertragen zu können. Das war (und ist noch) der einzige Zweck der Religion. Doch der "Unglaube" ist gegenüber dieser schlimmsten aller Drogen wirkungslos, weil die eigentliche religiöse Verblendung (Programmierung des kollektiv Unbewussten) darin besteht, die Heilige Schrift NICHT zu verstehen! Unabhängig davon, ob man an den Unsinn glaubt, den die Priester darüber erzählen, oder nicht. Und für die originale Heilige Schrift (die Bibel bis Genesis_11,9 sowie ein wesentlicher Teil der Nag Hammadi Schriften) gilt: Unterschätze, solange du sie nicht verstehst, niemals ihre Weisheit.

(Lutherbibel 1984 / Genesis_3,6) Und die Frau (Finanzkapital) sah, dass von dem Baum (Geldverleih) gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht (Urzins) und aß und gab ihrem Mann (Sachkapital), der bei ihr war, auch davon und er aß.

Silvio Gesell: Die Übertragung des Urzinses auf das Sachkapital

Alle elementaren volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, die mit genialen, archetypischen Bildern und Metaphern in Genesis_1,1-11,9 exakt umschrieben sind, wurden durch die Überdeckung mit gegenständlich-naiven Fehlinterpretationen (so genannte Exegese der Priesterschaft) über Jahrtausende aus dem Begriffsvermögen der halbwegs zivilisierten Menschheit vollständig ausgeblendet. Da es egal ist, welchen Unsinn die jeweilige Priesterschaft redet, solange die eigentliche, makroökonomische Bedeutung im Verborgenen bleibt, erfüllen die Priester noch heute ihre Aufgabe, auch wenn sie schon lange nicht mehr wissen, was sie tun (etwa seit dem 6. vorchristlichen Jahrhundert). Heute muss man darum nicht nur sprichwörtlich sondern tatsächlich bei Adam und Eva anfangen, um an Hochschulen indoktrinierten "Wirtschaftsexperten" oder von einer religiös verblendeten Masse gewählten "Spitzenpolitikern" die Marktwirtschaft zu erklären.

Die originale Heilige Schrift, deren ursprüngliche Verfasser die wirkliche Bedeutung der Erbsünde = Privatkapitalismus (Kapitalakkumulationen werden weitervererbt und lassen sich in "dieser Welt" über viele Generationen weiterverzinsen!) noch kannten, ist aufgebaut wie ein mathematisches Gleichungssystem mit mehreren Unbekannten, das eine eindeutige Lösung hat. Die Gleichungen sind die Gleichnisse und die Variablen sind archetypische Bilder und Metaphern. Wenn nun eine Vielzahl von Gleichnissen, insbesondere in den unverfälscht überlieferten Nag Hammadi Schriften, die bei oberflächlicher (gegenständlich-naiver) Betrachtung absolut sinnfrei sind, bei absolut sinnvoller und stringenter Substitution der verwendeten Metaphern durch moderne makroökonomische Begriffe einen vollkommenen Sinn ergibt, der die gesamte bisherige Kulturentwicklung erklärt und zudem für unsere gegenwärtige "moderne Zivilisation" von existenzieller Bedeutung ist, ist jede andere Deutung (es gibt ohnehin keine andere sinnvolle Deutung) ausgeschlossen - unabhängig davon, ob (noch) Milliarden religiös verblendeter Narren "anderer Meinung" sind.

"Ihr habt alle Dinge verstanden, die ich euch gesagt habe, und ihr habt sie im Glauben angenommen. Wenn ihr sie erkannt habt, dann sind sie die Eurigen. Wenn nicht, dann sind sie nicht die Eurigen."

Jesus von Nazareth (Nag Hammadi Library / Dialog des Erlösers)

Selbst wenn die Nag Hammadi Schriften, die den eindeutigen Beweis liefern, nie gefunden worden wären, wäre es noch immer die einzig denkbare Hypothese, dass der Prophet Jesus von Nazareth der erste Denker in der bekannten Geschichte war, der die Grundprinzipien der Natürlichen Wirtschaftsordnung erkannte, denn keine andere Erkenntnis, die bereits zu seiner Zeit möglich war, hätte ihn zur berühmtesten Persönlichkeit der Welt gemacht, auf der bis heute die planetare Zeitrechnung basiert.

Über den wahren Himmel auf Erden können wir in Anlehnung dessen, was Arthur C. Clarke im Vorwort zu "2001" schrieb, sagen: Alles bisher über das Paradies Erträumte war nur Phantasie. Die Wahrheit wird – wie stets – weit erstaunlicher sein. 



Stefan Wehmeier, 28. Juli 2012